Früher wusste jedes Kind, was Weihnachten bedeutet: Gott schickt seinen Sohn in die Welt, um uns mit sich zu versöhnen. Heute ist Gott vielen fraglich, und was ein Sohn für Qualitäten hat, kommt immer drauf an. Sohn und versöhnen ist zwar ein schönes Wortspiel, aber der Hintersinn ist verloren, wo Fragen nach Schuld und Gericht vorsichtshalber lieber nicht gestellt werden.
Und dennoch ist Weihnachten wichtiger denn je. Alle feiern es; auch wer seine Herkunft nicht kennt. Tokio ist voller Weihnachtsbäume, wenn auch nur gut 1% der dortigen Bevölkerung Christen sind. In einer Kirche an der Ostsee fragte ein Besucher den Ortspfarrer: „Wir sind hier zur Besichtigung. Können Sie uns sagen, was da vorn die hängende Figur bedeutet?“ Ahnungslosigkeit ist hierzulande ausgebrochen wie vor indischem Tempelschmuck. Und dennoch ist Christi Geburt das Retterbild der Menschheit.
Unterschwellig ist das Kind in der Krippe das Inbild der Bewahrung überhaupt. Das Kind, das uns seine Arme entgegenstreckt, mit wissendem Lachen beschwört es uns: Gut, dass du da bist. Ja, es ist unserer Hilfe bedürftig, aber noch viel dringender brauchen wir seine Zukunftshoffnung und seine Lust, das Leben anzupacken. Darum ja das Bild von der Krippe: Es ist wahr, es ist die Welt im Zustand der Gnade, Gottes Versprechen: Er verheißt den Frieden auf Erden und dass wir Wohlgefallen aneinander haben. In Armut wird der geboren, der die Gotteskindschaft von uns allen ausruft. Engel müssen‘s ausposaunen.
Der christliche Glaube begeistert mich immer aufs Neue: Gott schafft nicht nur das Leben sondern geht es. Er geht Jesu Lebenslauf mit: Am Anfang der Stall, am Ende der Galgen – jeder Mühe, jedem Mangel unterzieht sich Gott. Und geht selbst in den Tod, geht aber durch ihn hindurch und wir ihm nach. Darum leuchtet der Stern Jesu über der Menschheit. Sein Leben ist zum Kennzeichen der Herkunft und Qualität des Menschseins geworden: Jede*r ewig gültig, einzig, wunderbar. Darum bezeichnen wir auch unser Geburtsdatum mit dem Stern von Bethlehem und unseren Todestag mit seinem Kreuz.
Ein Stern geht auf. Auch dir. Auch du ein Christkind, Sohn oder Tochter Gottes. Wir sind froh, dass Jesus geboren wurde. Wir sind doch wenigstens angehaucht von seiner liebevollen Weltsicht und sollten uns daher in den nächsten Wochen mit besonderer Achtung begegnen. Außerdem: Besuchen wir (nicht nur) zu Weihnachten eine Ladestation mit Gottesenergie. Fröhliches Weihnachtsfest!
Pfr. Frank Schuster
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Ja, die Tage werden kürzer; aber dafür die Abende länger, und was kann man da nicht alles Wunderbares anstellen. Kerzen, diese kleinen Sonnen, kommen jetzt zu Ehren.
Die Bäume haben ihre Blätter verloren, doch das schafft mehr Sicht. Kein zusätzlicher freier Tag zwar im November, dafür jedoch kommt Weihnachten mit Macht. Besuche auf dem Friedhof sind dran, wo spürt man sonst: Ein Glück, wir sind noch da! Kein Flanieren mehr unter Linden, dafür lass vernachlässigte Freundschaft aufleben. Keine Würstchen vom Grill und flott herübergebetene Nachbarn, aber konzentrierte Gespräche, zur Not am Telefon. Kein Jogging in aller Frühe, aber wieder einen Gottesdienst mitfeiern. Kein Weinfest, doch ein verzaubernder Familienabend bei gutem Essen; oder mal wieder ein Roman, als hätte man noch ein paralleles Leben.
Weniger Unternehmungen im „Corona-Herbst“, aber nicht zwingend auch weniger Lebensqualität. Endlich den Sprung schaffen, die zu große Wohnung aufzugeben. Jetzt vielleicht doch das Hobby wieder funkeln lassen oder endlich den Schrebergarten erwerben oder das Ehrenamt antreten.
Vielleicht weniger Sicherheit, aber mehr Chancen, du selbst zu werden; leg doch zu an Kompetenz und Weisheit, Mensch. Weniger Farben draußen, doch dein Inneres entdecke als farbenfroh – mit jedem Mitmenschen bist du selbst ein anderer, mit einem geliebten Menschen legst du neue Landstriche in deiner Seele an.
Mensch, werde pessimismusresistent, widerstehe niederdrückenden Nachrichten mit freundlichem Gesicht. Wer klagt, den lade auf einen Kaffee – mit Abstand – ein, und lass ihn klagen, er braucht keinen Rat, er braucht ein Ohr. Und kräftezehrende Illusionen baue ab; erkenne an, was ist. Dulde keine Benebelung mehr; gerade wenn es draußen fahl ist, kann dir innere Erleuchtung kommen.
Wir sind in schwierigen Zeiten, mach‘ deine Sache gut, den Rest überlass‘ den Zuständigen. „Woran mir nichts gelegen, da unterlasse ich alles Nachgrübeln.“ schrieb Goethe. Versag dir keine Lust. Dass sie nicht mit dem Leid anderer Leute erkauft sein darf, versteht sich. Küss die Freude, wie sie dir zufliegt, setz dich Überraschungen aus. Wir brauchen das Leben nicht zu verstehen, sondern es reicht, uns darin zurechtzufinden – die Nase Richtung Freude. Übrigens, verschenkte Blumen tun im November besonders gut.
Pfr. Frank Schuster
Mensch, überleg dir gut, was deine Seele braucht, damit sie gerne in deinem Körper wohnt – das wusste in leichter Abwandlung schon vor knapp 500 Jahren Theresia von Avila. Ein Wort vor allem ergibt dabei Sinn: Urlaub – die Zeit, in der es mir erlaubt ist, mich von meinen Pflichten zu entfernen. Im Urlaub kann ich meinen Neigungen nachgehen. Doch scheint es eine Menge Zeitgenossen zu geben mit starker Neigung zu Pflichten. Sie sind geradezu verliebt in Termine, Zwänge und Stress. Sie brauchen Druck, schinden ihre Nerven in strapaziösen Autotouren, quälen ihre Körper in Fitness-Programmen. Sie hetzen von Kunstwerk zu Kunstwerk, von der einen „location“ zum anderen „event“, sammeln Verabredungen, häufen vermeintliche Schnäppchen an.
Dahinter steckt wohl der Aberglaube, wir müssten uns unser Glück verdienen. Immer ist scheinbar vor uns das Glück, gleich hinter der nächsten Ecke, nach getaner Arbeit. So sind wir andauernd damit beschäftigt, Freude und Erholung vorzubereiten, erreichen diesen Zustand jedoch nicht.
Urlaub beginnt nämlich im Kopf. Setz dich hin, schau aus dem Fenster. Spür deinen Atem kommen und gehen. Merke, dass du gerne du bist – jetzt, in diesem Augenblick. Nimm dir Zeit, nichts zu müssen, nur da zu sein, ganz gegenwärtig. Lass auch die Gedanken kommen und gehen und bleibe in diesem Selbstgespräch deiner Seele mit dir. Und aus den kleinen Gedankenfäden webt sich von selbst ein Teppich. Bilder gehen dir auf von dem, was dir gut tut. Ein Muster entsteht dann in dir, wird immer klarer. Du weißt, was du willst. Dann steh auf und tu den ersten Schritt auf dieses Ziel hin. Und das Glück ist gar nicht mehr weit weg, sondern im Gehen ereignet es sich.
Urlaub ist die von Pflichten weitgehend freigeräumte Zeitstrecke. Nutze sie vor allem zum Weiterweben deiner Gedanken, deiner schönen Gefühle, deines förderlichen Wissens um Menschen, Natur, Kunst und Religion. Urlaub ist Neugierzeit – lass dich verblüffen, finde etwas schön, stifte Freude, lade ein, gönne dir etwas Gutes. Und du wirst mehr du selbst.
Pfr. Frank Schuster
Vor ein paar Jahren schaltete in England ein Pfarrer eine Anzeige in der örtlichen Presse, deren Text lautete: „Hiermit geben wir den Tod der Kirche bekannt. Die Trauerfeier findet am kommenden Sonntag im Gottesdienst statt.“
Erwartungsgemäß war die Kirche an jenem Sonntag bis auf den letzten Platz besetzt. Erschreckt stellten die Besucher des Gottesdienstes fest, dass der Pfarrer tatsächlich einen Sarg in den Altarraum gestellt hatte. Als sie nach der Predigt Gelegenheit hatten, nach vorne zu kommen, um sich am offenen Sarg nochmal von der toten Kirche zu verabschieden, bekamen sie einen Riesenschrecken. Der Pfarrer hatte nämlich einen großen Spiegel in den Sarg gelegt, in dem sich die vorbeischreitenden Gemeindeglieder selbst sahen. Daraufhin fingen viele wieder an, sich für ihre Kirche zu engagieren.
Kirche ist also nicht die so gern kritisierte lnstitution, nicht das oft marode Gebäude, auch nicht ihre Funktionsträgerinnen und -träger. Kirche lebt von Menschen, die mitmachen, weil sie begeistert sind von dem und Anschluss suchen an das, was Jesus vorgelebt hat. Kirche lebt von der Heiligen Geistkraft, die phantasievoll in Menschen tätig ist; lebt vom Wort Gottes, das erlösend und befreiend wirkt.
Leider gibt es hier in letzter Zeit immer weniger solcher Menschen – aus demographischen und sonstigen Gründen. lm Gegensatz zu den Kirchen in der von uns so genannten Dritten Welt schrumpfen sie bei uns zunehmend, können sie deshalb die vielfältigen Aufgaben nicht mehr bewältigen, die sie in den „fetten Jahren“, für die Gesellschaft übernommen haben: im Bereich der Kindertagesstätten, der Krankenpflege, der Beratungsstellen usw.
So wird sich unsere Kirche innerlich wie äußerlich verändern. Wir werden manches sterben sehen, aber das wird auch die Möglichkeit neuer lntensität und neuer Lebendigkeit in sich tragen. Kirche ist ärmer geworden und wird noch ärmer werden. Sterben wird die eurozentrische Form des Christentums und ihre Theologie – reicher und vielfältiger wird Kirche aber dadurch werden. Sterben wird das in Konfessionen verengte Christentum – Kirche wird erwachsener. Sterben wird das altväterliche Kirchentum, das vorgibt, alles besser zu wissen und zu können – gütiger und demokratischer wird die Kirche jedoch davon.
Es stehen unserer Kirche künftig nicht nur Schreckensszenarien bevor. Was wir erleben, sind eher die Geburtsschmerzen einer neuen Form von gelebtem Christentum.
Pfr. Frank Schuster
„Wie viel Prozent der biblischen Texte handeln von einem Leben nach dem Tod?" Die Frage verblüfft mein Gegenüber merklich. „Ich würde sagen zwischen 50 und 60%?l" Als ich ihn wissen lasse, dass es keine 10% sind, macht sich Verwunderung breit. „Und wovon handeln dann die weitaus meisten Texte der Bibel?" „Vom Leben vor dem Tod natürlich – vom schrecklichen und zugleich wunderbaren Leben auf dieser Welt."
„Ich dachte immer, es geht in erster Linie darum, wie Leute in den Himmel kommen, wenn sie gestorben sind." „Ich würde eher sagen, es geht darum, wie der Himmel zu uns kommt, wie es auch schon im Vaterunser heißt: Dein Reich komme – und nicht: Lass uns in dein Reich kommen."
„Und was ist mit der Auferstehung?" fragt er. „Es muss und wird sie nicht erst nach unserem Tod, sondern es kann sie schon jetzt und hier, mitten im Leben, geben. Ich kann ab sofort als österlicher Mensch leben, kann die Macht der Auferstehung in meinem Leben und für meine Mitmenschen wirksam werden lassen.“
„Das hieße ja, dass es auch den Tod schon mitten in unserem Leben gibt", folgert er. „So ist es. Wir können ihn sogar täglich sehen: Wenn Kinder verhungern, Flüchtlinge ertrinken, Kriege geführt werden – aber auch dann, wenn Menschen täglich klein, stumm und kaputt gemacht werden. Aber wir brauchen nicht tot zu bleiben, also uns nicht länger von der Macht des Todes einreden zu lassen, es gebe zu dieser Art von Leben keine Alternative. Denn es gibt sie, sagt die Botschaft der Auferstehung. Durch sein von Liebe bestimmtes Leben hat Jesus uns gezeigt, dass wir keineswegs festgelegt bleiben müssen auf unser todbringendes Handeln. Ostern lehrt uns, dass nichts so bleiben muss, wie es ist. Und dass vor allem wir nicht bleiben müssen, wie wir sind. Wenn wir als österliche Menschen leben, spüren wir, dass wir zu einem ganz anderen Verhalten fähig sind, zu ganz anderen Lebensentwürfen und dass wir – wenn wir festgelegt blieben auf unsere eigene Kargheit – weit unter unserem von Gott gewollten Niveau bleiben."
„Das klingt für mich wie eine Art ,Machtwechsel‘.“ „So kann man's sehen", erwidere ich. „Wer im Einflussbereich des Auferstandenen lebt, gewinnt Anteil am neuen Leben. Das alte hat keine Macht mehr über ihn, neue Lebensmöglichkeiten tun sich auf. Aus solcher Hoffnung lässt sich leben!"
aus: Mittelhaardter Rundschau, 01. April 2016
Es ist zum Heulen, nicht nur in der Passionszeit, wie viel Chaos offenbar in uns Menschen steckt. Zum Heulen und noch mehr zum Staunen ist es, wie wir dennoch durchkommen, im Schnitt jedenfalls, bis ins recht hohe Alter. All die schreiende Angst als Kind, die Einsamkeit in der Schule, die Kränkungen, all die hilflosen Annäherungen, die Pleiten im Beruf, die Strapazen, mich zu behaupten zwischen Lieb-Kind-Sein und Kämpfer. Mensch, wie erklärst du dir dein Überleben, und dass du immer noch Interesse hast an dir selbst?
Immer wieder ist der Weg zur Reife gepflastert mit Erschrecken und Scheitern. Vielleicht hast du Haltepunkte, an denen du dich orientieren kannst. In deiner Handtasche, deiner Brieftasche hast du Bilder, auf denen belegt ist, was dir wesentlich ist: die Kinder, der eine Mensch, das Stillleben mit Katze und Rosen, das Foto von dir im Urlaubsglück. Auch trägst du ein Bild in dir, wie du noch werden könntest, wenn dir Klarheit und Zeit zum Gelingen noch gewährt ist. Doch, du willst dir Ordnung schaffen. Eine Ordnung, in der du gehalten bist. Aber du kannst dein Kuddelmuddel nicht loswerden. Sei froh, wenn du im Tohuwabohu deiner Gefühle, Pflichten, Ängste und Wünsche einen Weg für den nächsten Schritt findest. In Augenblicken der Übersicht schaust du erstaunt zurück und merkst: Du bist getragen von guten Mächten, bist hindurchgeschleppt worden zu immer wieder einem neuen Tag, einer neuen Chance. Und du kannst noch mal schauen nach dir; schauen, was dich stärkt oder schwächt; kannst noch mal sortieren, was du wirklich willst.
Also schneide nicht ab, was in dir von Gott ist, deck‘ es nicht zu mit Suff oder Schuften oder Flucht in äußere Unordnung. Vermeide nicht die Angst, sondern lerne, durch sie hindurchzugehen. Glaube an den guten Kern in dir, ein geheimes Behütungsmuster, das in dir Kräfte freisetzt, doch noch Frieden zu machen. Fang‘ die Reformation deines Innenlebens an; du hast die Erlaubnis zur Freiheit, die aufbaut und nicht gefangen nimmt. Ist das nicht himmlisch?
Frank Schuster, Pfarrer an der Martin-Luther-Kirche in Neustadt-Winzingen
(aus: Mittelhaardter Rundschau, 17. März 2017)
Drei Wochen läuft das neue Jahr, und du gehst wieder im alten Trott. Die gleiche Maloche, die üblichen Sprüche, alles wie gehabt. Dabei wolltest du doch was ändern, Mensch. Das Rauchen aufgeben klappte nicht, die neuen Joggingschuhe stehen unbenutzt im Schrank. Aber das ist nicht das Schlimmste. Viel dramatischer ist, dass du noch nichts für deine Seele getan hast, für dein Ich, deine Person, dein Zentrum. Wann hast du dem zum letzten Mal nachgespürt? Ist das schon lange her? Und was dann oft bleibt, ist das miese Gefühl von Leere, als wäre man sich selbst abhanden gekommen und würde nur noch funktionieren: als Arbeitnehmer, Familienmensch, Rädchen im Getriebe. Das war’s doch, was du im neuen Jahr ändern wolltest. Du wolltest wieder deine Seele finden. Aber was tun über den guten Vorsatz hinaus?
Nimm dir Zeit für dich. Ermittle, was du wirklich willst und brauchst. Merke, was du machst und was andere mit dir machen. Schreib dein inneres Fahrtenbuch. Kein anderer als du selbst kann dein inneres Maß verschieben. Du hast Begabungen, kannst dir und anderen nützen. Merk dir eine Falle, in die du nicht mehr tappen willst; eine Sorte von Kraft- und Zeitvergeudung, die du nicht mehr zulässt. Erinnere dich: Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen. Schotte du dich nicht ab, mauere nicht – du hast doch Lust zur Veränderung. Unveränderlichkeit ist ein Kennzeichen des Todes, nicht des Lebens. Dabei bedenke: Wir haben auf nichts ein Anrecht, jeder nächste Atemzug ist Gnade. Und es ist ein Wunder, dass das Leben dich noch mag und nährt, wo du doch nicht besser bist als die Vielen, die schon früher gehen mussten.
Ein neues Jahr ist ein unausschöpflicher Kredit an Gelegenheiten, glücklich zu werden. Glaub‘ es: Vor dir liegt Chancenland. Mit dir selbst zurechtzukommen, ist schon viel. Dies und hoffentlich so manches mehr soll dir glücken im neuen Jahr.
Frank Schuster (52), Pfarrer an der protestantischen Martin-Luther-Kirche in Neustadt-Winzingen
Aus der Rheinpfalz vom 08.12.2017:
Über den Kirchturm hinaus: Advent – endlich
Als käme man nicht mehr über den Berg – so geht es jetzt vielen. Die Sonne fehlt doch. Die düsteren Tage legen sich aufs Gemüt. Da ist eine Kerze das reinste Leuchtfeuer. Sie ist ein Versprechen: Bald vier Kerzen, bald ein Baum voll Licht. Aber die Eintrübung des Gemüts durch viel Dunkel ist nur eine Sorte von Schwächung. Dass man Geplantes, Erhofftes nicht mehr schaffen könnte, diese Ahnung haben viele. Sie können Advent gebrauchen wie ein Kletterer im Gebirge für die letzten hundert Meter ein Seil, das ihm von oben zugeworfen wird.
Advent ist ein Rettungsseil stärkerer Gefühle, eine Gemütsnahrung sondergleichen: Vor dir Heilung, vor dir Rettung, Wärme, Liebe. Ein Sog von friedensstiftenden Maßnahmen nimmt dich ein: Es wird nicht dunkel bleiben um dich, deine Kraft wird reichen, Mensch. Was über deine Kräfte geht, dafür bist du nicht zuständig. Hilfe, wenn du sie erbittest, wird sich einstellen. Und der Sinn des Lebens, den du so oft bezweifelst? Advent wird dir heimleuchten, dir geht ein Licht auf: Sinn ergibt, für Lebendiges hilfreich da zu sein. Dass ein Mensch dir eine Freude, ein Lachen, einen guten Gedanken verdankt, das ist Sinn – anfassbar und hautnah.
Advent ist auch Ermunterung pur, auf Veränderung zum Besseren zu setzen. Riskier doch mal, dass welche über dich staunen. Leg die Angst ab, einen Korb zu kriegen. Leg dir einige gewinnende Sätze zurecht – Advent ist auch die Zeit der guten Worte, bestens geeignet für einen Versöhnungsanruf, einen längst fälligen Brief oder Besuch. Die Tür einfach zuschlagen wird keiner. Advent, das klingt nach Vorfreude, nach Zeichen von Glückendem. Auch als Heilmittel gegen Ungeduld, Neid und Geiz könnte man Advent verschrieben bekommen. Es ist eine Ahnung in der Welt, dass der mit Namen Jesus doch Recht haben könnte mit seinem „Fürchtet euch nicht – Gott ist die Freude, die Liebe, die Zukunft.“ Im Advent fängt mit dir, in dir etwas davon an. Fang Feuer, Mensch, interessiere dich brennend für andere und werde ein Lichtblick in der Dunkelheit.
Pfarrer Frank Schuster
Aus der Rheinpfalz vom 23.12.2016:
Über den Kirchturm hinaus: Weihnachten – und kein Friede auf Erden
Die Frage, ob Engel lügen können, scheint zu Weihnachten 2016 nicht unberechtigt. Verspricht doch der Engel der Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium „Friede auf Erden“. Jedoch die Ereignisse dieses Jahres, die Terrorakte von Brüssel, Ankara, Nizza und jetzt Berlin, dazu der andauernde Krieg in Afghanistan und Syrien, die humanitäre Katastrophe in Aleppo – sie strafen die himmlische Botschaft scheinbar Lügen. Siegt also doch die Macht der Gewalt über die der Liebe, die an Weihnachten in die Welt gekommen ist?
Dieser Jesus, dessen Geburt wir alle Jahre wieder feiern, hat uns später aufgefordert: Überwindet das Böse durch das Gute! Wollen wir ihn zum Utopisten stempeln, wenn wir bei Weihnachten nur an sentimentalen Kitsch und Konsum denken statt an die weltverändernde Botschaft, die an diesem Fest bei uns angekommen ist? Wenn die Gleichung „Hass erzeugt Hass“ stimmt, könnte dann nicht auch die Gleichung „Liebe erzeugt Liebe“ stimmen?
Ängstlich und verunsichert gehen viele Menschen ins neue Jahr. Wut macht sich vielerorts breit, die im Internet einen Resonanzraum und in mancher Wahlkabine ihren Niederschlag findet. Ob wir friedens- und zukunftsfähig sind, hängt davon ab, dass wir Visionen entwickeln, wie wir künftig miteinander leben können. Und diese Visionen sind keine des grenzenlosen Wachstums und des gnadenlosen Wettbewerbs, sondern Visionen der Freiheit für anders Denkende und Lebende, sowie der Gewährung gleicher Lebenschancen für alle.
Weihnachten macht mir dabei Hoffnung: Wir haben die Vision des Engels vor uns, den Frieden auf Erden als machbar zu begreifen. Was wir von diesem Fest lernen können, wäre, dem Anfang im Kleinen zu trauen, diesem Jesus seinen friedvollen Gott zu glauben, darauf zu vertrauen, dass auf herodianischer Wut und Gewalt kein Segen ruht und sie daher keine Zukunft hat.
Du Mensch, hast es in der Hand, dem Engel zu glauben, dass Gutes in dir ruht, das du nur zu wecken brauchst. Setze Kettenreaktionen des Guten in Gang, damit über dem Leben aller Menschen ein Stern des Friedens und der Gerechtigkeit aufgehen kann. Fang heute damit an. Friedvolles Fest.
Pfarrer Frank Schuster