„’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre, und rede Du darein!“ dichtete Matthias Claudius 1778. Knapp 80 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs ist es leider wieder so weit: Krieg in Europa – und man wünscht sich erneut den dreinredenden Engel.
Europa war und ist für viele Menschen unserer Tage verbunden mit der Erfahrung eines lange währenden Friedens. Jetzt jedoch spüren wir, wie zerbrechlich, ja trügerisch diese Vorstellung war. Ein Gefühl, so ähnlich wie bei den anderen Katastrophen der letzten Zeit: Seuchen, Überflutung, Krieg – das alles gibt es, aber nicht bei uns im zivilisierten Europa, dachte man. Nun ist Krieg in der Ukraine. Millionen Menschen haben Angst um ihr Leben, flüchten sich vor Bomben in Keller, U-Bahnhöfe oder an sicherere Orte.
Wenn ein Machthaber sein nachbarliches Brudervolk unter Bruch des Völkerrechts mit Gewalt überzieht, nachdem er zuvor die diplomatischen Bemühungen, zusammensetzen und miteinander reden, an einem 6 Meter langen Tisch karikiert hatte, bleibt erst mal nichts anderes übrig als härteste Sanktionen. Von Gegengewalt indes müssen wir Abstand nehmen. Von Albert Camus stammt die Erkenntnis: „Die heuchlerische Ungerechtigkeit ruft die Kriege hervor. Die gewalttätige Gerechtigkeit überstürzt sie." Beides könnte gelten für die, die jetzt an militärische Einsätze denken.
Man kann nur beten um Einsicht auf allen Seiten. Vor allem um die Einsicht, dass wir alle Brüder und Schwestern sind. Frieden schaffen heißt, den anderen verstehen wollen und ihm Anteil geben an den Früchten der Erde und des Geistes. Man kann nur heulen, wenn man die weinenden, schreienden Menschen bedenkt, und vor sich sieht die im Artilleriefeuer Sterbenden, die Millionen Flüchtenden. Es darf aber nicht sein, dass wir mit legalen Mitteln Krieg machen, um einen Krieg zu beenden. Wer sind wir denn, die gern das Reich des Bösen ausrufen, als wären wir die guten Lichtgestalten? Wir müssen unsere Anteile am Übel ebenso wahrnehmen, müssen zu unseren Fehlern stehen, zum Verprassen des endlichen Erdöls und Gases und zum (Waffen-)Geschäftemachen mit Diktatoren. Und was könnten wir mit 100 Milliarden Euro nicht alles Gutes tun für diese arme Erde und ihre Bewohner? Aber wir sind längst nicht so vollkommen gut wie Gott. Wir sind noch auf dem Weg von der Gewalt zur Güte – und nur die Liebe schafft manchmal Vergebung und Neuanfang.
Beten wir daher um Klugheit und Phantasie, dass wir den Krieg ausfallen und uns den Frieden einfallen lassen. Denn Krieg ist keine Möglichkeit, Frieden zu sichern. Am Ende hingegen wird der Friede siegen. Weil Gott selbst ihn geschaffen hat und immer wieder neu erschafft. Das ist auch die Hoffnung, die im Lied von Schalom Ben-Chorin aus dem Jahr 1942 ihren Ausdruck findet und die wir dieser Tage an der Weinstraße besonders gut nachempfinden können: „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit. Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht. Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht. Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg.“
Pfarrer Frank Schuster